Sterbebilder zwischen Politik und Individualität

Sterbebilder unterliegen einem historischen Wandel. Seit mehr als 200 Jahren transportieren sie neben Religion auch politische Propaganda. Heute verdrängen zeitgenössische Kunst und Individualität die Religion auf dem Sterbebild.

Sterbebilder dokumentieren Geschichte, wenn man sie richtig liest. Sie liefern Weltanschauungen, bezeugen diese oder jene Seite der Wirklichkeit, spiegeln Politik.

Instrumentalisiert für Propaganda

Die millionenfache Auflage des Sterbebildchens von Kaiser Franz Joseph I., später auch seiner Frau Sisi, fällt für Hansjörg Bader vor allem unter die Kategorie Propaganda. Über die Sterbebildchen sollte auch eine Verherrlichung der Monarchie stattfinden. Bader, früher Bibliothekar des Tiroler Volkskunstmuseums, hat sich zehn Jahre lang mit der Auswertung von 6.000 Sterbebildchen befasst und darüber ein Buch geschrieben. Ihm zufolge findet Politik je nach Epoche unterschiedlich Eingang in das Sterbebild.

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Zweiter Weltkrieg: Gefallene werden fast ausschließlich als Soldaten präsentiert

Während im Ersten Weltkrieg Gefallene noch als Personen auf den Sterbebildern erscheinen, die auch durch ihren Beruf charakterisiert werden, werden Gefallene des Zweiten Weltkriegs fast ausschließlich als Soldaten mit einem militärischen Rang definiert. Im Ersten Weltkrieg finden sich noch präzise Angaben dazu, wo und woran jemand starb, im Zweiten Weltkrieg herrschte diesbezüglich eher Zurückhaltung – aus militärisch-strategischen Gründen, vermutet Bader.

Von Nazis und Widerständigen

Die Nationalsozialisten scheinen sich, so der Volkskundler, mit Sterbebildchen als Propagandainstrument nicht ausdrücklich befasst zu haben, folglich blieben diese dem katholischen Ritus verhaftet. Wobei sich die Bildgestaltung in dieser Zeit auch einer Kombination zwischen einem Spruch und Symbolen von Soldatentum und Partei bedient. Klar ist für den Analytiker, dass auch die Sterbebilder der Zensur unterlagen.

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Beachtlich sind vor diesem Hintergrund die wenigen Zeugnisse des Widerstandes. So gab es zum Beispiel ein Andenken an Pater Franz Reinisch, der den Fahneneid verweigerte. Das Sterbebildchen spricht davon, dass der Pater „von den Neuheiden in Brandenburg (Preußen) enthauptet“ wurde. Für Bader, der der Politik auf Sterbebildchen in seinem Buch viel Platz einräumt, spricht die Ausdrucksweise des Textes für die Entrüstung des Auftraggebers. Das Andenken in Umlauf zu bringen habe großen Mut und perfekte Geheimhaltung vorausgesetzt, „man weiß nicht, wie die Nazis mit Menschen umgegangen wären, die solche Bildchen verbreitet haben“, sagt der Volkskundler. Widerstand gegen das Regime habe sich auch anders ausgedrückt, indem zum Beispiel der Verstorbene nicht als Soldat, sondern als Zivilperson auf dem Foto abgebildet worden sei.

Buchhinweis

Hansjörg Bader: Sterbebilder. Vom Gebetsaufruf zur Erinnerung. Edition Tirol, 324 Seiten, 29 Euro.

Das tote Kind

Im untersuchten Material fanden sich auch einige wenige Sterbebilder für Kinder. Bemerkenswert an ihnen ist für Bader die Abbildung toter, aufgebahrter Kinder. Dieser Umstand lässt sich unter anderem damit erklären, dass Kinder früher oft erstmals bei der Erstkommunion fotografiert wurden. Starben sie vorher, gab es noch kein Foto. Die Abbildung des toten Kindes auf dem Sterbebildchen ist der Versuch, wenigstens irgendeinen Eindruck des Kindes aufbewahren zu können.

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Eines der wenigen Kindersterbebildchen

Neue Funktion: Von der Religion zur Individualität

Die ursprüngliche Aufgabe von Sterbebildchen war der Aufruf zum Gebet. Hinterbliebene konnten für den Verstorbenen dessen Zeit im Fegefeuer verkürzen, indem sie durch Gebete einen Ablass in unterschiedlicher Länge – 100 Tage, 300 Tage, 500 Tage – bewirkten. Mit dem Ablass lässt sich auch das früher eher seltene Vorkommen von Kindersterbebildchen erklären – in der religiösen Vorstellung kamen Kinder direkt in den Himmel, ein Ablass war nicht erforderlich.

Diese Funktion trat im Laufe der Zeit in den Hintergrund. Auch religiöse Motive selbst verschwanden von den Sterbebildchen. An deren Stelle traten künstlerische Elemente oder Fotos, die die Individualität des Verstorbenen anschaulich machen sollten.

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Moderne Sterbebilder operieren mit Momentaufnahmen des Lebens

Sterbebilder sind heute Medien der Erinnerung. Zwei Faktoren führten laut Bader dazu, dass Sterbebilder in Zeiten schwächerer religiöser Bindung noch nicht ausgestorben sind: Zum einen haben Bestattungsunternehmen die Bildchen als Geschäftsbereich übernommen, zum anderen lassen sich Sterbebildchen mit einigen Computerkenntnissen leicht selbst am PC gestalten.

Ulrike Finkenstedt, tirol.ORF.at