Hütten: Vom Grandhotel zur schrägen Kiste

In Tirol gibt es 300 hochalpine Schutzhütten. Das Tiroler Denkmalamt hat begonnen, herausragende Beispiele unter Schutz zu stellen. Zeitgenössische Architekten denken über innovative Gebäudetypen nach.

Walter Hauser, Landeskonservator von Tirol, startete 2009 eine großangelegte Kampagne. Michaela Frick vom Tiroler Denkmalamt hat seither alle 300 Schutzhütten nach den Kriterien „Vielzahl, Vielfalt und Verteilung“ untersucht, das heißt, auch die unterschiedlichen regionalen und typologischen Ausformungen wurden mit einbezogen.

berg1 am Dachstein

Dreiplus Architekten

Ein schwarzer Kristall - Entwurf der neuen Seethalerhütte auf dem Dachstein

30 Objekte kamen in die engere Wahl. Acht Hütten stehen 2016 rechtskräftig unter Denkmalschutz. Tirol nimmt bei diesem Thema eine Vorreiterrolle ein, Bayern und Südtirol ziehen nach. Zeitgenössische Architekten liefern futuristische Antworten auf das Thema Hütte im Hochgebirge.

Das Hochgebirge unter der Käseglocke?

Anfangs reagierten die Mitglieder der Sektionen der Alpenvereine skeptisch auf das Anliegen der Denkmalschützer, weil sie ein Explodieren der Sanierungskosten befürchteten. „Heute sehen wir den Denkmalschutz als Auszeichnung, er bringt auch Vorteile, zum Beispiel bei Verhandlungen über den Brandschutz“, sagt Robert Kolbitsch, der Beauftragte für Hütten und Wege des Deutschen Alpenvereins (DAV).

Prager Hütte

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Die Neue Prager Hütte wurde 2013 unter Denkmalschutz gestellt und aufwendig restauriert

Alpenvereinshütten in Tirol

Der Deutsche Alpen Verein (DAV) besitzt 132 Hütten,
der Österreichische Alpen Verein (ÖAV) 37.

Elegante Bürgerstube in 2.796 m Höhe

Die Neue Prager Hütte im Nationalpark Hohe Tauern in Osttirol ist ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen dem Denkmalamt und dem DAV. Die 1904 von Johann Stüdl erbaute Hütte stand zur Diskussion. Man dachte sogar über einen Abbruch nach, doch der DAV entschied sich für den Erhalt der historisch bedeutenden Hütte.

Prager Stube

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Die Thonet-Sessel erinnern an ein Wiener Kaffeehaus im Hochgebirge

Die Fassade aus Natursteinen der Umgebung wurde mit den dortigen Materialien wie zum Beispiel Gletschersand behutsam saniert. Die lange Zeit als Rumpelkammer zweckentfremdete Prager Stube wurde von regionalen Handwerkern unter der Anleitung der Denkmalpfleger fachgerecht restauriert. Mit den originalen Thonet-Stühlen und Stadtansichten von Prag wirkt der holzgetäfelte Raum im Hochgebirge wie eine elegante Bürgerstube um die Jahrhundertwende.

Grandhotel in den Alpen

Die Berliner Hütte ist die erste Alpenvereinshütte, die unter Denkmalschutz gestellt wurde. In den Zillertaler Alpen gelegen wird sie von mehreren Dreitausendern umrahmt. Die ursprüngliche Hütte aus dem Jahr 1879 wurde bald zu klein und so baute die Sektion Berlin des DAV immer weiter. „Dem Sturme Trutz, dem Wanderer Schutz“ steht über dem Eingang geschrieben, doch der Bau ähnelt eher einem mondänen Grandhotel als einer einfachen Schutzhütte. Zu den Annehmlichkeiten zählten damals eine Kegelbahn, ein Fotolabor, eine Schuhmacherwerkstatt und sogar ein eigenes Postamt. Durch das Klingelservice auf den Zimmern sollte kein Wunsch unerfüllt bleiben.

Die soziale Trennung war deutlich spürbar. Im Gebirge gaben die Bergführer die Richtung vor, doch in der Hütte putzten sie die Stiefel der Städter. Die Zimmer der Dienstboten waren niedrig gehalten, der großzügige, holzgetäfelte Speisesaal hat dagegen die verschwenderische Raumhöhe von knapp fünf Metern. Den eleganten Damensaal mit kunstvoll geschnitzten Holzlüstern finanzierten die Damen der Sektion, indem sie als Volkstänzerinnen bei Alpenbällen in Berlin auftraten.

Berliner Hütte

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Die Berliner Hütte auf 2.042 Meter Höhe wirkt wie ein Grandhotel in den Alpen

Die feudalen Zeiten sind vorbei. Heute betreibt die Sektion Berlin des DAV eine pure Schutzhütte für Bergsteiger in dem prächtigen Bau. In den letzten acht Jahren wurden über eine Million Euro in die Sanierung und Modernisierung des Baus investiert.

Kapelle ergänzt höchste Hütte

Das Becherhaus auf 3.195 Meter Höhe ist das höchstgelegene Schutzhaus in Südtirol. Im Gegensatz zu anderen Hütten, die sich in Mulden ducken, thront dieses Haus direkt auf dem Gipfel. Im Jahr 1894 zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie erbaut, wurde es nach Kaiserin Elisabeth benannt. Die sportliche Kaiserin wollte das Schutzhaus auch besuchen, ein Termin war schon vereinbart und alles für den Besuch vorbereitet inklusive der eigens in den Stein gehauenen Sisi-Stufen, die auf den Bechergipfel führen.

Becherhaus

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Das Becherhaus auf 3.195 m ist das höchstgelegene Schutzhaus Südtirols

Doch wenige Tage vor dem geplanten Termin wurde die Kaiserin am 10. September 1898 in Genf ermordet. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Schutzhaus in Becherhaus umbenannt. In der denkmalgeschützten Kapelle Maria Schnee wird der Kaiserin gedacht.

Moderne Formensprache erhitzt die Gemüter

Das Bergwandern boomt, doch die Bettenzahl soll nicht erhöht werden. Die Verantwortlichen der Alpenvereine sind sich einig, dass keine weiteren Hütten errichtet werden dürfen. In Ausnahmefällen, wenn die Substanz nicht mehr zu retten ist, werden Ersatzbauten errichtet.

Edelrauthütte

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Die mit Holzschindeln verkleidete Edelrauthütte von MoDus Architects wurde bereits eröffnet

Das Land Südtirol hat im Jahr 2011 einen großangelegten geladenen Architektenwettbewerb zum Neubau von drei baufälligen Schutzhütten durchgeführt. Die experimentelle Formensprache der prämierten Projekte führte zu sehr emotionalen Diskussionen, in denen es auch zu persönlichen Diffamierungen der Architekten kam.

Ideologie prägt Wahrnehmung

Ein weiteres Beispiel: Der Bau der vom Team stifter + bachmann entworfenen Schwarzensteinhütte hoch über dem Südtiroler Ahrntal begann im Sommer 2016. Architekt Helmut Stifter ließ sich vom felsigen Gelände inspirieren und entwarf einen vom Gletscher freigegebenen Gesteinsbrocken. Kritiker bezeichnen die geplante Hütte als „Betonbunker“, obwohl der Baukörper zum großen Teil aus Holzfertigteilen errichtet wird.

Entwurf einer Hütte (Schwarzensteinhütte) in Form eines Gesteinsbrockens

stifter + bachmann architekten

Die neue Schwarzensteinhütte hat die Form eines Gesteinsbrockens

Sendungshinweis

„Österreich Bild - Architektur am Gipfel“, 13.11.2016, 18.25 Uhr, ORF2

Die Anforderungen an Energietechnik und Umweltschutz haben sich geändert. Eine Hütte im 21. Jahrhundert sollte mehr bieten als bloßen Schutz durch ein Satteldach. Die Wände werden zur Gewinnung von Sonnenenergie genutzt, das Dach dient dem Wassersammeln. Der Innsbrucker Architekt Stephan Hoinkes hat den Wettbewerb für die Seethaler Hütte (Bild ganz oben) am Dachstein gewonnen. Er versucht, einen möglichst kleinen Fußabdruck zu hinterlassen. Der von einer Fachjury prämierte Entwurf wird in den Sozialen Netzwerken heiß diskutiert.

Forscher denken über die Hütte der Zukunft nach

Am Institut für Gestaltung der Universität Innsbruck beschäftigt sich Andreas Flora wissenschaftlich mit dem Thema Schutzhütten. Die ausgesetzte Insellage abseits der Komfortzone im Tal, die Autarkie, also die energetische Selbstversorgung der Hütten, interessieren den Erforscher von nachhaltigen Systemen.

Entwurf für ein Becherhaus

Dünsser-Wukowitsch

Eine Hütte, die je nach Auslastung wachsen und schrumpfen kann

Die Frage ist, ob Erkenntnisse, die man am Berg gewinnt, auch neue Lösungen für das Bauen im Tal etwa den Wohnbau bringen könnten. Im Rahmen von Masterarbeiten sucht Flora mit seinen Studenten abseits von strengem Budgetdruck und konkreten Bauherrenwünschen nach neuen Gebäudetypen. Ein Entwurf zeigt eine Schutzhütte, die auf die unterschiedliche Auslastung reagieren kann.

futuristische Hütte in Form einer Bienenwabe

Andreas Damhofer

Eine Hütte der Zukunft in Form einer Bienenwabe

Ausstellungshinweis

„Hoch Hinaus! Wege und Hütten in den Alpen“, von 29.September 2016 bis 3. Februar 2017, Archiv für Baukunst in Innsbruck

Andreas Damhofer hat eine wabenartige Konstruktion entworfen, in der der menschliche Körper platzsparend untergebracht werden kann. „Der eine oder andere Bergsteiger schluckt vielleicht angesichts dieses Projektes und sagt, meine Erwartung an eine Schutzhütte ist nicht, dass sie so aussieht wie ein Bienenstock, das gestehe ich jedem zu“, erklärt Professor Flora, „doch auf der Forschungsebene ist es sehr spannend, neue ökonomische Wege zu suchen.“

Teresa Andreae, tirol.ORF.at