Gemeinschaftsgarten: Ein „politisches“ Feld

In Tirol gibt es mittlerweile knapp 20 Gemeinschaftsgärten. In ihnen wächst mehr als nur selbstgezogenes Gemüse: Gemeinsam genutzte Gärten sind Begegnungsorte, die soziales und politisches Handeln im Kleinen erfordern.

Das Tiroler Bildungsforum unterstützt seit Jahren interessierte Gemeinschaftsgärtnerinnen und -gärtner. In Seminaren und Workshops gibt es Tipps zum Gelingen, denn nur wenn Regeln vereinbart werden, überleben die Gärten, berichtet Petra Obojes-Signitzer vom Tiroler Bildungsforum.

Regeln für ein gedeihliches Miteinander

Gelernt werden muss im Gemeinschaftsgarten, wie mit unterschiedlichem Engagement umgegangen wird. Hochmotivierte Gärtnerinnen kommen fast täglich, andere lassen ihre Beete aus Zeitnot verwildern.

Petra Obojes-Signitzer, Bildungsforum Tirol

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Petra Obojes-Signitzer leitet Kurse für Gemeinschaftsgärten

„Vereinbarungen treffen muss man auch, wenn es um den Einsatz von Schneckenkorn auf einem Beet geht, dessen Nachbar biologisches Gemüse ernten möchte“, so Obojes-Signitzer. Wer setzt wem Grenzen, ist eine weitere Frage für die Gruppe, wenn sich von einem zugewucherten Beet das Unkraut auf das ganze gemeinsam bewirtschaftete Feld ausbreitet. Heiße Konflikte gibt es auch bei eigenmächtigen Beetvergrößerungen oder heimlicher Ernte auf fremden Parzellen.

Politische Erfahrungen am Acker

Gemeinschaftsgärten spiegeln politische Rahmenbedingungen im Kleinen: Fließt das Budget in einen Rasenmäher oder soll lieber eine Bewässerungsanlage errichtet werden? Welche Probleme wachsen aus dem Umstand, dass in einem interkulturellen Garten eine Gruppe, z.B. Chinesen, zu stark wird? Nutzungskonflikte können Gemeinschaftsgärten auch verhindern, wenn eine frühere Kinderspiel- oder Hundewiese als gemeinsame Gartenfläche benützt werden soll.

Gemeinschaftsgarten Feldfreunde Arzl

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Die „Feldfreunde“ in Arzl: Wer keine Toleranz für Unkraut am Nachbarbeet aufbringen kann, geht.

Große „Artenvielfalt“

Unter den Tiroler Gemeinschaftsgärten hat sich in den vergangenen zehn Jahren eine große Vielfalt etabliert. Es gibt Gärten mit einem Schwerpunkt auf alten Gemüsesorten, von Bauern vorgepflanzte Selbsterntefelder, die Pächter selbst kultivieren und ernten, Schul- und Therapiegärten für psychisch Kranke und alte Menschen, Freigärten wie in Wörgl, die sich als grüne Ruheinsel zum Schauen und Naschen verstehen. Interkulturelle Gärten setzen auf Integration.

Landkarte Tirol mit Hinweisen auf Gemeinschaftsgärten

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Tirolweit gibt es rund zwei Dutzend unterschiedliche Gemeinschaftsgärten

Kein Schweinemist auf dem Gemeinschaftsfeld

Im interkulturellen Garten „Bunte Daumen“ verbindet rund 20 Männer und Frauen aus Kufstein, dem Irak und Syrien ihr Interesse am eigenen Gemüseanbau. Wie in der interkulturellen Gesellschaft im Großen entstanden auch hier Missverständnisse durch fehlende Sprachkenntnisse. „Einer unserer irakischen Asylwerber hat hundert Krautköpfe auf das ganze Feld verteilt gepflanzt“, erzählte Christiane Moser von den „Bunten Daumen“ lachend im ORF-Gespräch. Mittlerweile ist das viele Kraut längst geerntet und verzehrt.

Gemeinschaftsgarten Bunte Daumen

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Kulturelle „Aha-Erlebnisse“ hatten Kufsteiner, Syrer und Iraker bei der Gartenarbeit.

Im Unterschied zum Setting im Deutschkurs mit seiner schiefen Lehrer-Schüler-Ebene kann am Feld jeder von jedem lernen. Zwei Syrer, so Moser, zogen in ihr Kufsteiner Feld tiefe Gräben für Wasser, eine Maßnahme, die in ihrer trockenen Heimat hilfreich war. Und was in anderen interkulturellen Gärten mit Muslimen sehr wohl Thema ist, ob nämlich Schweinemist aufgebracht wird oder nicht, hat die „Bunten Daumen“ bisher nicht berührt. Dort setzte man seit der Gründung ausschließlich auf Hornspäne und Brennesseljauche.

Links:

Ulrike Finkenstedt, tirol.orf.at