Brief eines Flüchtlings an die Bevölkerung

Ein bewegender Brief eines in Innsbruck untergebrachten Flüchtlings aus dem Iran kursiert derzeit in Sozialen Netzwerken. Er stammt von Hessam Abdollahi und richtet sich an die Menschen in Tirol.

Hessam Abdollahi lebt seit November 2015 in der Asylunterkunft am Paschbergweg in Innsbruck. Seine Flucht führte ihn vom Iran über die Türkei nach Griechenland und von dort über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich. Hessam Abhollahi hat im Iran Bauingenieurswesen studiert und hilft nun in einem Innsbrucker Architekturbüro unentgeltlich beim Modellbau. Es war ihm ein Anliegen, sich in einem Brief bei der Bevölkerung zu bedanken. Über die Sozialen Netzwerkte wurde sein Brief in den letzten Tagen vielfach geteilt.

Der Brief im Wortlaut:

"Ich bin ein Flüchtling und in der Tennishalle am Paschbergweg in Innsbruck untergebracht. Ich will mich nicht beklagen, sondern möchte mich bedanken. Man hat mich so erzogen, dass man sich bedankt, wenn einem geholfen wird. Danke daher, dass ich als Flüchtling hier in Innsbruck sein kann. Ich habe einen Teil meines Lebens verloren – meine Sicherheit, mein ruhiges Leben, meine Religion und meine Gesundheit.

  • Die Syrer haben ihre Sicherheit verloren und müssen nun zusehen, wie ihre Freunde und sogar ihre Familien umgebracht werden. Sie erleben, wie ihre Häuser und die Häuser ihrer Nachbarn zerstört werden. Sie erleben, wie u.a. Hochschulen zerbombt werden, was ihnen damit auf Jahre die Möglichkeit eines Studiums nimmt, eine Ausbildung, auf die sich sich bis zum 18. Lebensjahr vorbereitet haben. Sie leben zur Zeit in einem Horrorszenario von Maschinengewehren, Dynamit und Bomben.
  • Den Irakern wurde die wirtschaftliche Basis von den eigenen Leuten gestohlen und sie müssen nun erleben, wie täglich ihre Söhne getötet werden.
  • Die Afghanen können nicht einmal den engsten Freunden und Brüdern trauen, ob sie von ihnen nicht ans Messer geliefert werden, denn sie können nie sicher sein, auf welcher Seite der andere steht. Eine der wenigen Möglichkeiten, in Afghanistan Geld zu verdienen, ist es nämlich, als Spion für die Taliban zu arbeiten, So wird diese Gewaltspirale nie enden!
  • Im Iran gibt es de facto keine Freiheit in Bezug auf Religion, politische Einstellung oder sexuelle Orientierung. Es genügt allein, anders zu denken, und man wird unter fadenscheinigen Anschuldigungen zum Tode verurteilt.

Wir alle haben unsere Heimat verloren, wir sind alle in derselben Situation und haben unsere Zukunftsvisionen begraben müssen. Mit großen Hoffnungen für ein gewaltfreies Leben und eine bessere Zukunft sind wir in Ihr Land gekommen. Wir wissen, dass Sie die große Anzahl an Flüchtlingen nicht erwartet haben und dies Sie belastet.

Bedauerlicherweise kommt es manchmal im Flüchtlingsheim zu Streitereien, doch wir bemühen uns auch um Ruhe. Die Erinnerungen an unsere verlorene Heimat und an den schrecklichen Krieg haben sich wie ein dunkler Fleck in uns eingebrannt, und es kann passieren, dass die Emotionen plötzlich und unkontrolliert überkochen. In den Medien wird über tätliche Übergriffe im Heim am Paschbergweg berichtet. Ja, das stimmt leider, dass manche ausrasten. Ich erlebe es vor Ort, dass manche nur noch wütender werden, wenn man versucht, sie zu beruhigen. Es trägt jeder eine große Last mit sich, die Last der Erinnerung an seine Familie, an Kinder, Freunde...

In Zeiten vor dem Krieg hatten wir Zukunftspläne und positive Erwartungen im Hinblick auf eine eigene Familie, Kinder und Freunde. Wir haben alles zurückgelassen, als wir flüchteten und in Ihr Land kamen. Viele verdrängen ihre Erinnerungen an ihre Heimat – den Blick des Vaters – das Lachen der Mutter – die Gesichter ihrer Kinder – Frau – Schwester – Bruder – Freunde. Wir haben sie beim Abschied geküsst und sind weggegangen. Unser Leben wäre leichter, wenn wir vergessen könnten oder die Möglichkeit hätten, ihnen zu helfen.

Liebe Innsbrucker Bevölkerung!

Manche mag es stören, wie sich Flüchtlinge bewegen, kleiden benehmen – aber mein 22 Jahre alter Verstand sagt mir: Sie möchten nur Kontakt mit der Bevölkerung bekommen und Freundschaften schließen, wissen aber nicht, wie sie das bewerkstelligen sollen.

Liebe Innsbrucker Bevölkerung!

Meine Gedanken sind klar – unsere Gedanken sind klar – aber unsere Emotionen sind durch die Kriege in unserer Heimat verletzt. Wir können nicht arbeiten und keinem Hobby nachgehen. Es fühlt sich an, als hätten wir unser Lachen begraben wie einen Toten.

Liebe Innsbrucker Bevölkerung!

Manche werden von den eigenen Aggressionen eingeholt, und es kommt zu Polizeieinsätze in der Tennishalle. Die Polizei verrichtet ihre Arbeit unter großem Zeitdruck.

Liebe Polizei!

Danke, dass Ihr euch Zeit nehmt für uns – Zeit ist das wertvollste im Leben! Danke auch, dass ihr stets ein Lächeln für uns auf den Lippen habt!

Liebe Innsbrucker Bevölkerung!

Danke, dass Ihr uns auch gelegentlich als „Wilde“ bezeichnet – das gibt uns Gelegenheit zu reflektieren und unser Benehmen zu verbessern.

Danke, dass Ihr uns darauf aufmerksam macht, dass unser Heim der „schmutzigste Platz der Welt“ ist, das motiviert und, mehr auf Sauberkeit zu achten.

Danke auch, dass uns sehr viele Leute helfen. Wir stellen immer wieder fest, dass sich Menschen perfekt um uns kümmern und das ist das Beste, was uns passieren kann.

Danke, dass Ärzte und medizinisches Personal ins Lager kommen und die Kranken versorgen.

Danke dass Sie uns trotz unserer Fehler menschenwürdig behandeln.

Danke, wenn Sie uns nicht antworten, wenn wir Sie nicht auf Deutsch ansprechen, das motiviert uns, Ihre Sprache zu lernen.

Danke, dass wir monatlich ein Taschengeld erhalten, obwohl wir dafür keine Gegenleistung erbringen können.

Danke, dass Sie uns mit Essen versorgen und wir an einem warmen Platz wohnen können, dass uns Lehrer in Deutsch unterrichten und uns Anwälte unentgeltlich beraten.

Wir haben davon nur träumen können – aber Sie geben es uns! Ich würde es sehr bedauern, wenn einer von uns Flüchtlingen – auch nur für einen Moment – vergessen sollte, dass dies nicht Ihre Pflicht ist.

Auch wenn es mir vielleicht nicht möglich sein sollte, in Österreich zu bleiben, so werde ich immer dafür dankbar sein, dass ich zumindest eine Zeit lang hier leben durfte. Ich würde mir jedoch wünschen, wenn wir eines Tages Seite an Seite leben könnten.

Nochmals ein Dankeschön an die Innsbrucker Bevölkerung!

Hessam A.
Tennishalle Paschbergweg / Innsbruck
März 2016-03-11"