Studie zeigt Systematik bei Missbrauch im Heim
Die Studie wurde von den Bundesländern Tirol und Vorarlberg in Auftrag gegeben und am Montag in Innsbruck präsentiert. „Das System der Erziehungsheime hat gewaltvolle Erziehungspraktiken in all ihren Formen der körperlichen, psychischen und sexualisierten Gewalt erzeugt, toleriert und war zu ihrer Verhinderung nicht willens oder nicht imstande“, meinte Ralser. In den Landesheimen von Tirol und Vorarlberg seien seit 1945 rund 8.000 Kinder untergebracht gewesen, weitere 4.000 bis 5.000 Kinder seien in katholischen Heimen gewesen.
Heime wurden erst spät geschlossen
Die Studie, die die vier Landeserziehungsheime Jagdberg im Vorarlberger Schlins, St. Martin in Schwaz, Mariatal in Kramsach und Kleinvolderberg in Tirol betrachtet, zeige im Vergleich zum restlichen Österreich vier Besonderheiten in den beiden Ländern auf. „Es gab eine besonders hohe Dichte an Erziehungsanstalten, es war eine hohe Zahl an Kindern in Anstalten untergebracht, es herrschte systematische Gewalt, und die Heime wurden, trotz öffentlicher Proteste, erst spät geschlossen“, erklärte die Projektleiterin.
Historische Quellen und Interviews
„Die Anstaltserziehung vereinte alle Machtquellen, die eine totale Erziehungssituation kennzeichnen: Isolierung, Entindividualisierung, Abhängigkeit und nahezu schutzlose Ausgeliefertheit der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen“, heißt es in der Studie. Neben der Auswertung von historischen Quellen haben die Studienautoren 54 Interviews mit Betroffenen aus den verschiedenen Heimen geführt.
Politische Reaktionen
Vorarlbergs Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) bat die Betroffenen nochmals um Verzeihung. „Das, was Ihnen an seelischer, physischer und sexueller Gewalt angetan wurde, kann nie wieder gutgemacht werden“, sagte die Landesrätin. Auch Tirols Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne) zeigte sich betroffen. „Die Ausbildung der Erzieher ist heute zwar eine ganz andere, wir müssen aber trotzdem achtsam sein, ob es noch Reste gibt, die sich in solchen Machtgefügen vielleicht halten“, sagte Baur.
Immer noch melden sich frühere Heimkinder
Die Anlaufstellen für frühere Bewohner von Kinderheimen der Kirche und des Landes sind weiterhin offen. Der Zulauf ist seit 2010 deutlich schwächer geworden, aber es gibt ihn noch. Beim Land Tirol, in dessen Verantwortung vier Heime und die Station der später massiv kritisierten Psychiaterin Maria Nowak-Vogl fällt (mehr dazu in Weitere Forschung zu Nowak-Vogl), wurde bis heute rund 360 Menschen eine finanzielle Hilfe von bis zu 25.000 Euro zugesprochen, heuer meldeten sich immer noch rund 20 Menschen. Gegen das Land Tirol seien derzeit drei Prozesse anhängig, gegen Vorarlberg einer.
Bei der Ombudsstelle der Diözese Innsbruck, zuständig für drei Heime mit sadistischen Übergriffen auf Kinder, gab es bisher 145 Entscheidungen, bei denen Geschädigten zwischen 5.000 und 35.000 Euro zugesprochen wurden. Auch bei der Diözese melden sich immer noch Betroffene, aber manche, so die Auskunft der Kirche, wollen kein Geld, sondern suchen vor allem das Gespräch.
Schwierige Kindheit, schwieriges Leben
Dass sich immer noch frühere Heimbewohner, die als Kind misshandelt wurden, melden, hat mehrere Gründe. Viele Menschen, erklärt Gotthard Bertsch bei der Ombudsstelle der Diözese Innsbruck, brauchten eben länger. „Viele hatten einfach andere Probleme“, heißt es bei Daniele Leichner in der Opferschutzstelle des Landes. Und diese Probleme können durchaus mit der kindlichen Erfahrung zusammenhängen.