Volksfeststimmung bei Blockade

Open-Air-Stimmung herrschte Freitagnachmittag bei der Blockade der A12. Die „Versammlung“ des Transitforums hatte rund 1.000 Teilnehmer angezogen, deren Anreise allerdings nicht ganz reibungslos verlief. Am späten Nachmittag standen Reden und Live-Musik am Programm der Protestveranstaltung.

Der inhaltliche Höhepunkt der Veranstaltung begann gegen 16.00 Uhr mit Referaten und Ansprachen zum Thema Verkehrsbelastung im Inntal. So führte der Umweltmediziner Heinz Fuchsig z.B. aus, dass die größte Belastung derzeit von Ultrafeinstaubpartikeln ausgehe, die noch gar nicht gemessen würden. Die Stickoxid-Problematik sei hingegen nicht mehr so brisant wie früher. Fuchsig forderte, dass die derzeit noch erlaubten Euro-3-Lkw entweder nachgerüstet oder aus dem Verkehr gezogen werden sollen.

Gurgiser droht mit weiteren Blockaden

Sollte das sektorale Fahrverbot nicht bis Jahresende umgesetzt werden, wird es neue Autobahnblockaden geben, so Gurgiser in der am Versammlungsglände anberaumten Pressekonferenz. Die Forderungen der Transitgegner seien in der Menschenrechtscharta und im europäischen Grundrechtsvertrag enthalten und umzusetzen: „Platter soll sich vor seine Bevölkerung stellen und nicht vor jene, die die Leute mit Mülltransporten zwischen Neapel und Hamburg terrorisieren“.

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Wieviele Kilometer haben Rohnen auf dem Buckel?

Live-Musik gab es am Nachmittag z.B. von Schülern des Privaten Oberstufen Realgymnasiums Porg in Volders, das sich auch im Unterricht mit der Verkehrsproblematik befasst. Das Warten auf den Auftritt von Bluatschink, die auch bei den vergangenen Blockaden dabei waren, ließ sich gut aushalten: Jausenstandeln mit Kaffe und Kuchen oder Kartoffel-Locken, Würstl mit Senf und Limo versorgten die Versammlungsteilnehmer. Außerdem gab es Informationsstände zu einschlägigen Themen: Wie weit werden unsere Lebensmittel gekarrt, bevor sie im Laden landen? Wie kann regionale Versorgung lange Wege vermeiden? Antworten auf diese Fragen lieferten Initiativen, die sich am Rande der Protestveranstaltung präsentierten.

„A Ruah is!“ statt diffusem Wummern

Die unzähligen Fahrräder verliehen der Inntalautobahn einen ungewohnten Anblick. Als Zuseher glaubte man sich angesichts der Scharen von Rädern in einem Rad-Volkswandertag. Laufräder, Kinderwägen, Inline-Skater und Roller im Schritt-Tempo statt vorbei zischender Autos und Lkw - „A Ruah’ is!“ brachte es eines der Transparente auf den Punkt (siehe Bild in der Fotoschau).

Ab 19.00 Uhr gehörte das Mikrophon den Musikern. Auch Veranstalter Fritz Gurgiser, selbst leidenschaftlicher Gitarrespieler und Sänger, gab seine Interpretation der Tiroler Landeshymne zum Besten. Das Ende der Veranstaltung war für 21.00 Uhr geplant, um 23.00 Uhr endete die Blockade offiziell.

Reaktion auf politische Stagnation

Das Transitforum Austria, das die Demo organisiert hat, will damit auf die ständig überschrittenen Grenzwerte aufmerksam machen und fordert ein neues sektorales Fahrverbot für den Schwerverkehr.

Nach fünf Jahren Pause sind Transitgegner, von Abgasen geplagte Anrainer, Ärzte und Familien am Freitag erstmals wieder auf der Autobahn. Das Motto der zehnten Blockade in den letzten 21 Jahren ist: „Saubere Luft für Jung und Alt“ und versteht sich auch als Antwort darauf, dass seit der Aufhebung des sektoralen Fahrverbotes im Dezember 2011 auf politischer Ebene nichts zur Verbesserung der Situation erreicht wurde.

Landespolitiker blieben der Veranstaltung - mit Ausnahme der Tiroler Grünen und ihrer Vertretung in der EU, Eva Lichtenberger - mehrheitlich fern. Fritz Gurgiser hatte im Vorfeld mitgeteilt, dass Politiker unerwünscht seien. Nur Bernhard Ernst von der Liste Fritz - Bürgerforum Tirol folgte dieser Aufforderung nicht. Er war selbst jahrelang im Vorstand des Transitforums und lasse sich nicht so einfach ausladen, teilte Ernst mit.

Transitgegner auf Fahrrad, daneben zwei Polizisten

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Auch dieser Fahrradfahrer durfte nicht über die Autobahn zum Veranstaltungsgelände.

Ärger über neue Regelung

Nicht alle Teilnehmer, die zur Versammlung wollten, kamen auch dorthin. An den Autobahnausfahrten, an denen die Polizei die Sperre kontrollierte, wurden Radfahrer, Fußgänger und Skater abgewiesen. Entgegen früheren Jahren durften sie nicht zu Fuß oder per Rad zum Veranstaltungsgelände über die „autofreie“ Autobahn gehen bzw. fahren.

Die Betroffenen reagierten enttäuscht. „Das ist alles politisch gesteuert“, mutmaßte einer der abgewiesenen Teilnehmer gegenüber tirol.ORF.at. Mit dem Gefühl von „Heute gehört die Autobahn uns!“ wurde es für die Besucher der Versammlung nichts.

Polizei: „Auffahrt ist nicht Veranstaltungsort“

Die Exekutive begründete die Abweisung von Veranstaltungsbesuchern damit, dass die Autobahnzu- und -abfahrten sowie die Abschnitte davor und dahinter nicht zur Veranstaltung zählten. „Der Veranstaltungsort ist auf den Bereich bei der Raststätte begrenzt“, erklärten die Beamten den enttäuschten Kundgebungsteilnehmern, und verwiesen sie zum Teil auf kilometerlange Umwege.

Hermann Weratschnigg, Stv. Obmann Transitforum Austria

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Hermann Weratschnig, Stv. Transitforums-Obmann

Transitforum: „Sicherheitsgründe, keine Schikane“

Hermann Weratschnig, Stellvertretender Obmann des Transitforums Austria, relativierte den Frust der Abgewiesenen. Der eigentliche Veranstaltungsraum sei klar eingegrenzt und mit der Bezirkshauptmannschaft und den Behörden abgestimmt. „Aus unserer Sicht ist das keine ‚Sabotage‘ der Veranstaltung“, so Weratschnig, der die neue Regelung nicht überbewertet sehen wollte.

Stillstand abseits der Autobahn-„Party“

Die Polizei stand an den Umleitungsstrecken mit einem Großaufgebot im Einsatz. Pkws mussten über die Vomperbachstraße und die Tirolerstraße ausweichen. Durch die Sperre der Autobahn kam es auf den Ausweichstrecken immer wieder zum befürchteten Stillstand.

Stau

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Langsamer als Schrittempo am Kreisverkehr bei Vomp

Ortskenntnis und kleine Schleichwege halfen nur bedingt. Immer wieder kreuzen diese die Bundesstraße - und dort brauchten die Lenker Geduld. Aber auch die Abfahrt von der Autobahn war von Warten geprägt.

Stau Autobahn

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Rückstau auf der A12 bei der Abfahrt Vomp.

Polizei: Manche trotz besseren Wissens gefahren

Am späten Nachmittag erreichten die Staus auf der A12 Richtung Kufstein den Spitzenwert von elf Kilometern. In der Gegenrichtung waren es acht Kilometer. Auch auf der Umleitungsstrecke und vielen Nebenstraßen brach der Verkehr teilweise komplett zusammen. Bis zu vier Stunden Zeitverlust mussten die Autofahrer hinnehmen so die Polizei. Beschwerden vieler Autofahrer, die nichts von der Blockade gewusst haben, kann der Leiter der Verkehrspolizei Markus Widmann nicht nachvollziehen. Behörden und Polizei hätten umfassend informiert, die Informationen seien in das Verkehrsinformationssystem eingegeben worden, man sei mit deutschen Behörden in Kontakte gestanden. Vielleicht seien auch viele auf gut Glück gefahren in der Hoffnung, dass es nicht so schlimm werde als die Prognose voraussagte, so Widmann.

Lkw-Lenker mussten ihre Fahrzeuge auf Parkplätzen oder dem Pannenstreifen abstellen, sie durften frühestens nach Ende der Versammlung um 23.00 Uhr weiterfahren. Mehr dazu in Exekutive für Autobahnblockade gerüstet.

Grenzwerte um 120 Prozent überschritten

Anlass für die Blockade war die Aufhebung des sektoralen Fahrverbotes. Letzten Dezember hatte der Europäische Gerichtshof (EUGH) das Fahrverbot für jene Lkws, die Schrott und Schutt geladen haben, wieder aufgehoben, ärgert sich Fritz Gurgiser, Chef des des Transitforums Austria: „Da hat es geheißen, es gibt bis Sommer 2012 eine neue Verordnung. Da ist natürlich nichts geschehen und jetzt stehen wir wieder auf der Straße. Man darf nicht vergessen, im Inntal werden die Stickstoffdioxid-Werte im Jahresmittel um bis zu 120 Prozent überschritten. Das ist für die Menschen unzumutbar. Es gibt eine rechtliche Verpflichtung das zu sanieren. Aber die Politik schaut weg.“

Fritz Gurgiser

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Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria.

Ohne Tempolimit kein Fahrverbot

Gefordert werden auch neue Tempolimits für den Individualverkehr. Laut EUGH sind Tempolimits für den gesamten Verkehr aber eine Grundvoraussetzung für ein neues Sektorales Fahrverbot, so Gurgiser: „Für Lkws 60 km/h, für Busse 80 km/h und für Pkws 100 km/h, das ist die Grundvoraussetzung des Europäischen Gerichtshofes. Dies beruht darauf, dass die Tiroler Landesregierung vor sechs Jahren selbst mitgeteilt hat, dass das Tempo 100 für Pkws die größte Reduktion brächte. Die Regierung hat diesen Vorschlag aber nie umgesetzt.“

Gschwentner: "Würde Tempo 100 jetzt einführen

Eine neue Position bezieht indessen der scheidende Landesrat für Luftgüte Hannes Gschwentner (SPÖ). Es gebe jetzt Studien, die besagen, dass Temporeduktionen für alle Verkehrsteilnehmer auf der Autobahn für die Luftqualität viel mehr bringen, so Gschwentner gegenüber dem ORF: „Wir bekommen das sektorale Fahrverbot nur, wenn wir Tempo 100 einführen. Aber da will der Bund ein Mitspracherecht und auch im Land sind wir da nicht einer Meinung. Ich wäre jetzt dafür“, sagt Gschwentner, der ab nächster Woche nicht mehr der Regierung angehören wird.

Grüne zeigen sich über Gschwentner verärgert

Die grüne Spitzenkandidatin Ingrid Felipe zeigt sich verärgert über „die viel zu späte Tempo 100- Einsicht“ von LHStv. Gschwentner: „Ganze acht Monate hält Gschwentner in der Regierung still und unterwirft sich untertänig dem System-Platter, während 200.000 zusätzliche LKW durch Tirol donnern und unsere Gesundheit zusätzlich belasten. Und jetzt, wo er die Verantwortung los ist, kommentiert er plötzlich als moralische Instanz, welche Maßnahmen Tirol braucht. Ein peinliches Schauspiel“, meinen die Grünen.

Bürgerforum: Ja zu Bürgerversammlung

Das Bürgerforum Tirol „steht zum Bürgerprotest, weil die Verkehrs- und Lärmbelastung sowie die Luftverschmutzung in Tirol Jahr für Jahr zunehmen“, so Fritz Dinkhauser. Er schlägt zugleich ein Maßnahmenpaket vor. Man müsse die Maut angleichen, Leerfahrten verbieten, Nachtfahrverbote und Lärmschutz umsetzen und den Schienen-Güterverkehr verbessern. Darüber hinaus müsse der öffentliche Verkehr billiger werden, so das Bürgerforum Tirol.

Ulrike Finkenstedt, tirol.ORF.at

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