Land Tirol hält an „Sektoralem“ fest

Der EuGH hat das sektorale Fahrverbot in Tirol erneut aufgehoben. LH Günther Platter (VP) sagte in einer ersten Reaktion, man wolle das Fahrverbot wieder einführen. Die Opposition übt Kritik an dem EuGH-Urteil, aber auch an der Regierung.

Nach der Aufhebung 2005 hat der EuGH das sektorale Fahrverbot in Tirol am Mittwoch zum zweiten Mal aufgehoben. Damit folgen die EU-Richter dem Schlussantrag der Generalanwältin.

Diese hat sich für eine Aufhebung des sektoralen Fahrverbots in Tirol ausgesprochen. Die Argumente Österreichs, wonach die sektorale Fahrverbotsverordnung zum Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens und aus zwingenden Gründen des Umweltschutzes erforderlich sei, würden „nicht überzeugen“.

Österreich nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft

Die EU-Richter vertreten die Auffassung, bei dem sektoralen Fahrverbot handle es sich zweifellos um eine Beschränkung des freien Warenverkehrs. Diese könne gerechtfertigt sein, wenn sie nötig sei, um ein Ziel wie das des Umweltschutzes zu erreichen. Bei der Prüfung, ob es sich bei dem Verbot um eine „geeignete“ Maßnahme handle, kam der EuGH zu einem negativen Ergebnis. Denn Österreich habe nicht alle anderen Möglichkeiten zur Senkung der Schadstoffbelastung ausgeschöpft.

Der Text im Wortlaut

EuGH-Urteil sektorales Fahrverbot (PDF)

So könne durchaus eine strikte Geschwindigkeitsbegrenzung verhängt werden. Österreich hatte argumentiert, daran halte sich sowieso kaum jemand und außerdem betrage die Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Autobahnstück 103 km/h. Vor allem könne das Umweltschutzziel auch erreicht werden, wenn nicht der Transport bestimmter Güter verboten werde, sondern auch andere Schadstoffklassen von Lastwagen von dem Verbot erfasst würden.

Platter Gschwentner

Land Tirol/Saringer

Land will Fahrverbot wieder einführen

In einer ersten Reaktion auf das Urteil kündigte Landeshauptmann Günther Platter an, das Land Tirol wolle das vom EuGH aufgehobene sektorale Lkw-Fahrverbot wieder einführen. Er wolle dies so rasch wie möglich im nächsten Jahr umsetzen und kündigte Verhandlungen mit der EU-Kommission an. Gleichzeitig kritisiert Platter, dass sich die Europäische Union immer noch nicht vom Credo verabschiedet hat, dass der freie Warenverkehr um jeden Preis Vorrang hat.

„Ein Staatenverbund, der sich dezidiert von einer Wirtschaftsunion hin zu einer Völkergemeinschaft entwickelt hat, sollte das Wohl der Bevölkerung vor wirtschaftliche Interessen stellen – ohne Wenn und Aber“, fordert LHStv Hannes Gschwentner. Tirol habe dreieinhalb Jahre unter Beweis gestellt, dass das Sektorale Fahrverbot reibungslos funktioniert hat.

Maßnahmenkatalog des Landes Tirol

  • Tirol hält an der Wiedereinführung des Sektoralen Fahrverbots fest und setzt weitere gelindere Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität.
  • Sensibilisierung der Schaltquote des flexiblen Tempolimits 100 km/h.
  • Weitere Intensivierung der Kontrollen der Lkw-Kontrollstellen Brenner, Radfeld und Kundl.
  • Anschaffung einer Frontradaranlage zur verstärkten Kontrolle des flexiblen Tempolimits 100 km/h.
  • Die Mauttarife zwischen Kufstein und Innsbruck werden schrittweise und je nach Emissionsklassen der Lkws erhöht. Die Einnahmen aus der Mauterhöhung werden zur Querfinanzierung des Brennerbasistunnels herangezogen.
  • Förderung von emissionsarmen schweren Lkws.
Fritz Gurgiser

APA/Tobias Orth

Fritz Gurgiser: „Die EU tritt Grundrecht auf Gesundheit mit Füßen.“

Für Gurgiser „falsche Güterabwägung“

Fritz Gurgiser, Obmann des Transitforums Austria, kritisiert das EuGH-Urteil scharf, weil die Gesundheit der Bevölkerung - laut Vertrag von Lissabon - über den freien Warenverkehr zu stellen ist. Dieses Grundrecht habe der EuGH mit Füßen getreten. 2003 hat das Transitforum die Einführung des sektoralen Fahrverbots und eine Verlängerung des Nachtfahrverbots gefordert. Grund dafür war damals, so Gurgiser, eine viel zu hohe NOx-Belastung in Teilen des Inntals und die Zunahme von Atemwegserkrankungen bei Kindern.

Es sei eine Irrmeinung, dass ein Lkw-Fahrverbot für den Transport von Müll, Schrott, Erden oder Steinen die Freiheit des Warenverkehrs begrenze, so Gurgiser weiter. Es gebe genug freie Kapazitäten auf Schiene und Straße durch den Alpenraum. Allein auf der Brennerstrecke biete die Republik Österreich weit mehr als 200.000 Ladungskapazitäten bei der Rollenden Landstraße an.

Jürgen Bodenseer

ORF

Jürgen Bodenseer warnt vor Schnellschüssen

Für Bodenseer keine Überraschung

In der Wirtschaftskammer Tirol ist man über die Entscheidung nicht überrascht, betont WK-Präsident Jürgen Bodenseer: „Die Politik hat mit den Fahrverboten in den letzten Jahren wider besseres Wissen gehandelt. Wir haben die Tiroler Landesregierung immer wieder darauf hingewiesen, dass Verkehrsbeschränkungen aus Umweltschutzgründen primär an den Schadstoffemissionen der Fahrzeuge knüpfen müssen und nicht an der Art des transportierten Gutes. Die Aufhebung war daher zu erwarten.“

Bodenseer fordert eine genaue Analyse des Urteils und warnt vor Schnellschüssen der Politik. So solle überprüft werden, ob der Wirtschaftsverkehr wirklich in dem behaupteten Ausmaß an den Emissionen schuld sei, denn auch technisch habe sich bei Lkws viel getan. Mittel- und langfristig ist laut Bodenseer auch die EU gefordert, einheitliche Regelungen für den Güterfernverkehr festzulegen. Alpenquerende Transporte gehörten auf eine moderne Bahn, die auch den Anforderungen der Wirtschaft entspreche.

Liste Fritz: Lkw-Blockabfertigung möglich

Der Klubobmann der Liste Fritz, Bernhard Ernst, sagt, das Urteil könne für niemanden in Tirol ein Grund zur Freude sein, aber es zeige die jahrelangen Versäumnisse der österreichischen und Tiroler Verkehrspolitik schonungslos auf. Der ÖVP sei es nicht gelungen, einen Fuß in die Tür einer neuen EU-Verkehrspolitik zu setzen.

Jetzt müsse Landeshauptmann Platter Maßnahmen setzen, denn viele Tiroler würden unter der schlechten Luft leiden. Die Landesregierung brauche nicht die Wehrhaftigkeit beschwören, sondern müsse kreativ und hartnäckig den rechtlichen Rahmen ausschöpfen und ausreizen. „Wir kennen etwa die Möglichkeit für Blockabfertigungen an der Grenze“, sagt Ernst. Die EU sei nicht an einer wirklichen Verlagerung des Schwerverkehrs interessiert, der Bau des Brenner-Basistunnels sinnlos.

Grüne: Grundfreiheit vor Grundrecht

Der grüne Klubobmann Georg Willi sagte, die Aufhebung des sektoralen Fahrverbots bedeute, dass eine Grundfreiheit das Grundrecht besiege. Die Vorgaben des Lissabon-Vertrages hinsichtlich des Grundrechtes auf Gesundheit würden übersehen. Die Gesundheit sei aber ein höherer Wert als der freie Warenverkehr, so Willi.

Willi kritisierte die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ, die an der Niederlage Mitschuld hätten. Mit einer stationären 100-km/h-Beschränkung hätte man ein Signal an den EuGH senden können, dass Tirol wegen der Gesundheit seiner Bevölkerung für den Erhalt des Müll- und Schrottfahrverbotes kämpfe. Die Generalanwältin Verica Trstenjak habe den „Generalhunderter“ vehement eingefordert. Jetzt heiße es, mit Volldampf an einem neuen, der EuGH folgenden Müllfahrverbot zu arbeiten, so Willi.

FPÖ: Für Hauser ein Schandurteil

FPÖ-Obmann Gerald Hauser nennt die Entscheidung „ein Schandurteil und eine Bankrotterklärung der Brüsseler Politik“. Der freie Verkehr sei wichtiger als die Gesundheit der Bevölkerung, dagegen sei massivster Protest einzulegen, nationaler Widerstand und Selbsthilfemaßnahmen seien nötig.

Landtag drohte mit Notwehrmaßnahmen

Die Tiroler Politik hatte schon auf den Schlussantrag der Generalanwältin in ungewohnter Geschlossenheit mit einem Landtagsbeschluss reagiert. Darin schloss man auch öffentliche Proteste nicht aus. Sollte sich der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für eine Aufhebung entscheiden, „könnten sich die Bevölkerung sowie die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften veranlasst sehen, Notwehrmaßnahmen zu ergreifen“, hieß es in dem Antrag. Ein Nein zum sektoralen Fahrverbot bezeichnete Landeshauptmann Günther Platter als „Kniefall vor der Transportlobby und einem Schlag ins Gesicht der Tiroler Bevölkerung!“

Der lange Weg des sektoralen Fahrverbots

Im August 2003 hätte das sektorale Fahrverbot auf einem Teilbereich der Inntalautobahn in Kraft treten sollen. Durch eine einstweilige Verfügung, die die EU-Kommission nach einer Klage beim EuGH durchsetzen konnte, musste Tirol das Fahrverbot aussetzen. Im November 2005 hat der EuGH das sektorale Fahrverbot schließlich für nicht verhältnismäßig erklärt und abgelehnt.

2007 erließ das Land Tirol neben Tempo 100 für Pkws auf der Autobahn neue Fahrverbote für alte Lkws. 2008 trat erneut ein sektorales Fahrverbot in Kraft. Erneut reichte die EU-Kommission Klage dagegen ein. Anders als beim ersten Mal wurde das Fahrverbot eingeführt und hatte bis heute Gültigkeit.

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